Bild eines Märchenwaldes

Betrachtet man das derzeitige Theater, das die EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson im EU-Parlament aufführt, um die Chats von EU-Bürgern überwachen zu lassen, dann könnte man meinen, man wäre in einem Märchenland gelandet. Sie ist offensichtlich mehr daran interessiert, ihr eigenes politisches Spiel zu spielen, als tatsächlich etwas für die EU und ihre Bürger zu tun.

Es klingt wie ein Märchen: In einem Wald lebten die Tiere in Frieden und Harmonie. Eines Tages beschloss der Löwe, der König des Waldes, dass er die Sicherheit der Tiere verbessern wolle, indem er ihre Kommunikation überwachte, um jene Tiere unter ihnen, die böse Absichten hegen könnten, aufzudecken. Er beauftragte einen Adler, die Nachrichten aller Tiere zu überprüfen. Der Adler war ein gewissenhafter und loyaler Diener, aber er stellte bald fest, dass die anderen Tiere verschlüsselte Nachrichten nutzen, und so die Überwachung der Tiere unmöglich war, ohne die Verschlüsselung zu brechen. Der Löwe war von seiner Idee besessen und bestand darauf, dass es eine Möglichkeit geben müsse, die Nachrichten zu überwachen. Der Adler erklärte dem Löwen, dass es unmöglich sei, die Nachrichten zu überwachen ohne die Privatsphäre und Sicherheit aller Tiere zu gefährden. Der Löwe war jedoch ungeachtet der Warnung des Adlers nicht bereit, auf die Überwachung zu verzichten und beschloss, die Nachrichten trotzdem zu überwachen.

Die Tiere im Wald waren besorgt über die Entscheidung des Löwen und beschlossen, zusammenzuarbeiten, um ihre Privatsphäre und Sicherheit zu schützen. Sie entwickelten eine neue, sichere Methode der Kommunikation, die es dem Löwen und dem Adler unmöglich machte, sie zu überwachen. Der Löwe erkannte schließlich, dass seine Entscheidung falsch war und bat die Tiere um Vergebung.

Die Moral der Geschichte: Eine gute Absicht kann sich leicht ins Gegenteil verkehren. Denn obwohl der Löwe ja mit seiner Überwachung die anderen Tiere vor Kriminellen schützen wollte, lieferte er dabei ihre Privatsphäre, und damit auch ihre Sicherheit vor Kriminellen, aus. Unbeabsichtigt vielleicht, aber doch im Wissen um das Problem – denn der Adler warnte ihn ja eindringlich.

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat aktuell ähnlich gute Ideen wie der Löwe. Sie hat sich vor dem Ausschuss für Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments den kritischen Fragen zu den Plänen der EU-Kommission zur Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch gestellt. Unter anderem tritt sie dafür ein, dass zum Schutze von Kindern und Jugendlichen alle private Kommunikation, also Whatsapp- und Signal-Chats genauso wie eMails, von den Service-anbietenden Firmen auf illegales Material gescannt werden sollen. Vor dem LIBE-Ausschuss verteidigte sie nun dieses Vorgehen. Seit dem vergangenen Jahr wurde es den Anbietern – auf freiwilliger Basis – von der EU gestattet, die Kommunikation ihrer Nutzer bereits zu scannen, demnächst soll es für die Anbieter verpflichtend werden. Johanssons Entwurf sieht vor, dass soziale Medien, Hosting-Anbieter und Messengerdienste zum Erkennen von Missbrauchsmaterial und Anwerbungsversuchen von Kindern (Cybergrooming) verpflichtet werden können. Dies funktioniert jedoch bei Ende-zu-Ende verschlüsselten Verbindungen, wie sie von Messengern wie Signal, Whatsapp oder Threema genutzt werden nicht, ohne die Verschlüsselung zu umgehen und damit abzuschaffen.

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson aber ignoriert diese Gefahr, dass die Sicherheit der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung leiden würde. In Antwort auf die entsprechende Frage des spanischen Europaabgeordneten Javier Zarzalejos sagte sie: „Wir wissen nicht, ob die Firmen Kindesmissbrauch in verschlüsselter Kommunikation entdecken können. Sie könnten es tun, aber wir wissen es nicht. Wir wissen, dass sie es bei verschlüsselter Kommunikation machen, wenn es um Malware geht.“

Ylva Johansson gab auch gleich ein Beispiel für die angebliche Überwachung der Kommunikation. So suggerierte sie, dass die Linkvorschau in Messengern zeige, dass Anbieter auf dem Gerät der Nutzer selbst die Inhalte der Nachrichten analysieren, indem sie erklärte: „Wenn ich eine Nachricht auf Whatsapp schreibe, die Ende-zu-Ende-verschlüsselt ist, und ich Ihnen eine Zeitungsseite sende, erkennt das System dies schon beim Eintippen des halben Namens dieser Seite und fügt es als Bild in die Nachricht ein. Das ist zur Sicherung, dass es keine Malware ist. Also erkennen sie heute schon Inhalte in verschlüsselter Kommunikation. Aber ob sie es heute schon zur Erkennung von Kindesmissbrauch machen, kann ich nicht sagen.“

Auf die Frage des niederländischen Abgeordneten Paul Tang, ob die Verschlüsselung dadurch gebrochen werden kann, antwortete sie: „Ich schätze das nicht so ein, dass die Verschlüsselung dadurch gebrochen wird. Ich sehe nicht, dass das passieren kann.“ Zudem versicherte sie, dass die Firmen zur Erkennung von Missbrauchsdarstellungen oder Grooming nicht gezwungen werden könnten, Maßnahmen umzusetzen, die technisch nicht machbar sind. Sie ist jedoch der Ansicht, dass die Erkennung solcher Inhalte bei verschlüsselten Messengern bereits möglich ist.

Sie betonte, dass die Einbettung von Linkvorschauen in Chat-Nachrichten nicht mit der Überprüfung von Kommunikation auf Missbrauchsinhalte gleichzusetzen ist. Sie hob hervor, dass die Linkvorschau in bestimmten Messenger-Apps wie Signal jederzeit deaktiviert werden kann und nicht mit einer Funktion verbunden ist, die Inhalte unbemerkt an eine Behörde meldet. Sie kommentierte auch, dass es unklar ist, welche Verbindung die Linkvorschauen mit Malware-Scans haben sollen.

Das Problem an Johanssons Vergleich: Natürlich muss der Link an einen Server geschickt werden, um die Vorschau anzuzeigen. Um die gleiche Technologie bei der Chatkontrolle anzuwenden, müsste also die gesamte Nachricht zum Überprüfen an einen Server gesendet werden. Sichere Kommunikation ist das nicht.

Johansson warnte vor den möglichen Folgen, dass die bisher freiwilligen Scans der Internetfirmen in der EU verboten werden könnten, wenn eine Übergangsregelung im Jahr 2024 ausläuft. Daher schlug sie vor, dass die neue Regelung sicherstellt, dass zwar weniger als bisher erlaubt wird, jedoch das Erlaubte verpflichtend gemacht werden sollte.

Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer hat auf die verwirrenden und unklaren Aussagen der EU-Kommissarin Johansson nicht untätig reagiert und eine Videoserie gestartet, die einen tieferen Einblick gibt. Mit seiner analytischen und kritischen Herangehensweise gibt er einen interessanten Gegenpol zu den verwirrenden Aussagen von Johansson. Wir empfehlen, diese Videoserie anzusehen und sich selbst ein Bild zu machen. Hier ist der Link zu der Videoserie: https://twitter.com/echo_pbreyer/status/1615318462552760321