Gastbeitrag von Ingolf Müller (Tensor)

Seit 1983 kennen wir ihn – den Weltverbrauchertag; oder halt auch nicht. Schließlich ist er nur einer der inzwischen inflationär installierten…täglichen Aktionstage, die unseren Blick auf irgendeinen ganz bestimmten Sachverhalt lenken sollen. Allerdings sind Aktionstage durchaus eine gute Erfindung, um Menschen einen Termin zu setzen, denen danach ist, sich zum Tagesthema zu äußern. Reden wir heute also über Verbraucherschutz.  Keine so schlechte Idee angesichts der aktuellen Tendenzen deutscher Großkonzerne, ihre Kunden zu verarschen. Wenn am Ende dabei heraus kommt, dass wir auch an anderen Tagen des Jahres hin und wieder über Verbraucherschutz nachdenken, hätte der 15.03. seinen Zweck erfüllt.

Ins Leben gerufen wurde der Weltverbrauchertag 1983 von der internationalen Verbraucherorganisation Consumers International [1]. Bereits einundzwanzig Jahre früher gab der damalige US-Präsident John F. Kennedy seinem Kongress auf den Weg, wie Verbraucherrechte aussehen sollten. Seine zwei Kernaussagen lauten: Verbraucher müssen…

… vor irreführender und betrügerischer Werbung geschützt werden,
… das Recht haben, aus einer Vielfalt von Produkten mit marktgerechten Preisen auszuwählen.

Diese beiden Statements eignen sich hervorragend als Einstieg in die Thematik. Dem ersten würde ich persönlich vorbehaltlos zustimmen. Mit dem zweiten habe ich meine Probleme. Doch der Reihe nach.

Pacta sunt servanta – Verträge sind zu erfüllen…
… es sei denn man verkauft Autos oder Sparverträge

Wenn jemand einen Gegenstand oder eine Leistung erwirbt, schließt er einen Vertrag mit dem Verkäufer. Der Gegenstand oder die Leistung sind in diesem Vertrag im Allgemeinen für beide Seiten klar definiert. Wenn ich z.B. einen PC oder einen Server liefere, dann will mein Kunde ganz genau wissen, ob das Gerät seinen angestrebten Einsatzzweck erfüllt. Das klappt zum Glück in den allermeisten Fällen. Wenn aber nicht, muss ich kostenlos nachbessern, den Preis mindern oder im Extremfall sogar Ersatz liefern. Das dürfte für nahezu alle kleinen und mittelständischen Unternehmen gleichermaßen gelten.
Unsere Automobilbauer nehmen aufgrund ihrer „Systemrelevanz“ in diesem Punkt jedoch eine Sonderstellung ein. Das fängt schon bei der Werbung an, die man sehr wohl als irreführend bezeichnen könnte, sofern man ein Fan von Verniedlichungen ist.
Die Automobilkonzerne dürfen ihre Kunden sogar vorsätzlich betrügen (immer noch jemand hier, der am Vorsatz der Manipulation der Abgaswerte zweifelt?) und müssen ihre Verträge trotzdem nicht erfüllen. Sie dürfen sich statt dessen billige Feigenblätter umhängen, auf denen „Softwareupdate“ steht. Ich weiß inzwischen, was dieses Softwareupdate mit meinem VW-Motor angerichtet hat. Die Besuche in der Werkstatt häufen sich und das Internet ist voll von Berichten, die sich mit meinen Beobachtungen decken [2]. Aber wenn die Hersteller behaupten, die Updates seien „völlig unbedenklich“ und nur zaghafter Widerspruch von Fachleuten kommt, dann wird diese nächste dreiste Lüge zur „Wahrheit“ – oder nennen wir sie liebevoller und dem Zeitgeist angepasst einen „alternativen Fakt“.  In einer Situation, in der Fahrverbote drohen (den Wertverlust älterer Diesel-PKW können wir als nachgelagertes Problem mal außen vor lassen) rafft sich doch tatsächlich der ADAC zu einer Studie auf, die die Wirksamkeit von Hardwarenachrüstungen nachweist [3]. Bis zu 75% weniger NOx lesen wir da. Freilich ist die nicht ganz so billig wie das nahezu wirklungslose Einspülen einiger neuer Bytes in die Motorsteuerung und das gefällt den um das Wohl ihrer Aktionäre besorgten Autobossen natürlich gar nicht.
„Viel zu teuer!“ „Technisch nicht sinnvoll.“ „Geht erst in zwei bis drei Jahren“. „Kauft euch lieber neue Autos.“ – das sind die „Argumente“ der Creme de la Creme deutschen Unternehmertums. Die Politik steht nicht ganz untätig daneben, weil sie immerhin eifrig überlegt, wie man die Folgekosten der von den Autobauern verursachten Sauerei aus Steuermitteln bestreiten kann.

Andere Geschichte, wie sich die Gleicheren unter Gleichen, die Führungskräfte unserer Nation, ihren vertraglichen Pflichten entziehen: Exemplarischer Tatort Halle/S. im schönen Sachsen-Anhalt. Exemplarisch nur deshalb, weil das Problem in Halle gerade aktuell, aber bei weitem nicht auf Halle beschränkt ist. Die Saalesparkasse kündigt ihren Kunden langfristige Sparverträge [4]. Vorstandsmitglied Alexander Meßmer dazu:
„Die langanhaltende Niedrigzinspolitik hat erhebliche  Auswirkungen auf die Zinssituation in Deutschland, da die Kundengelder zu aktuellen und damit sehr niedrigen Marktzinsen angelegt werden müssen. Die Saalesparkasse führt ihre Geschäfte nach kaufmännischen  Grundsätzen und kann die bestehenden Verträge nicht mehr fortsetzen.“
Wer hätte auch nur ansatzweise annehmen können, dass die Saalesparkasse „ihre Geschäfte nach kaufmännischen Grundsätzen führt“? Und wie konnte man auch ahnen, dass sich Banker und gestandene Kaufmänner wie Meßmer zuweilen verrechnen? Wenn das die nunmehr geprellten Sparkassenkunden vorher gewusst hätten! Möglicherweise wären dann ihre vor 15 und mehr Jahren geschlossenen Verträge gar nicht zustande gekommen.
Es ist schon erstaunlich, mit welcher Frechheit und Kaltschnäuzigkeit Banken und Sparkassen die Interessen ihrer Kunden unterpflügen, wenn sie die eigenen Bilanzen beim Blick in ihre Excel-Tabellen in Gefahr sehen. Das eigentlich Schlimme daran ist, dass sie, genau wie die Autobauer mit ihrem Betrug bei Politik und häufig genug am Ende auch bei der Justiz damit durchkommen. In gehobenen Kreisen kennt man sich mit dem Formulieren von Verträgen nun mal besser aus als Otto und Ottilie Normalverbraucher am anderen Ende des Tisches, auf dem das Papier liegt.

Aber hey – haben Sie etwa einen überteuerten Handyvertrag, den Sie außer der Reihe kündigen wollen? Berufen Sie sich auf Meßmer & Co: „Ich führe meinen Haushalt nach kaufmännischen Grundsätzen und kann den bestehenden Vertrag daher nicht länger fortsetzen“. Vorher noch ein bisschen auf die restriktive Sparpolitik Ihres Partners/Ihrer Partnerin schimpfen, dann wird Ihr Mobilfunkanbieter garantiert einlenken.

Der Verbraucher…verbraucht

Hier sind wir beim zweiten Aspekt der Verbraucherschutzdefinition nach John F. Kennedy angelangt; dem Recht des Verbrauchers aus einer Vielzahl von Produkten das ihm genehme zu marktgerechten Preisen auszuwählen. Als Kind des Ostens kenne ich den Mangel an Vielfalt sehr gut. Oft genug stand der Vielfaltszähler sogar auf Null. Ganz klar – eine solche Situation möchte ich nicht wieder haben. Andererseits behaupte ich, dass die zumindest in den entwickelten Industrieländern dargebotene übertriebene Vielfalt der Angebote alles, nur nicht gesund ist. Wie fast immer im Leben kommt es auch hier auf die Dosis an.
Daher erlaube ich mir, den Verbraucher, der verbraucht – nämlich natürliche Ressourcen – ein wenig zu bashen. Meine Kritik am (deutschen) Verbraucher basiert auf der einfachen Erkenntnis, dass besagte natürliche Ressourcen endlich sind. Hätten alle 7,5 Mrd. Menschen dieser Erde die gleichen materiellen Ansprüche an ihr Leben wie wir und darüber hinaus
die Chance, ihr Leben tatsächlich so zu gestalten – der Planet Erde hätte längst als letzte Message „Game over“ auf alle Bildschirme geschrieben.
Wenn Sie also einkaufen gehen, stellen Sie sich gelegentlich folgende Fragen.
a) Brauch‘ ich den Sch… wirklich oder will ich ihn nur, weil ihn der Nachbar auch hat?
b) Hab‘ ich eventuell noch das Vorprodukt zur neuen glänzenden Offerte zu Hause ‚rumliegen, das den gewünschten Zweck auch erfüllen würde?
c) Nehm‘ ich lieber die etwas teurere und langlebigere Variante oder plane ich schon jetzt den nächsten Billigkauf ein, weil ich aus Erfahrung weiß, dass billig nicht lange hält?
d) Hat das Produkt, das ich da gerade erwerben will, das Zeug dazu, mein Leben und das anderer Menschen zu verbessern oder dient es nur der Befriedigung der mir als Konsumtier eingeimpften Instinkte?

Klingt alles ziemlich harsch – ich weiß. Ich leugne keineswegs, dass ich diese Fragen bei weitem auch nicht immer so beantworte, dass was Ressourcenschonendes dabei ‚rauskommt. So gesehen bin ich selbst nur ein instinktgesteuertes Konsumtier.

Dennoch will ich daran erinnern, dass nicht derjenige gesellschaftliche Anerkennung erfährt, der sich eine Solaranlage auf’s Dach baut. Vielmehr sind Leute, die sich den neuen 600 PS Elektroporsche kaufen (können) und dann noch die Kühnheit besitzen, uns ihre Erungenschaft als aktiven Beitrag zum Umweltschutz zu verklickern, immer noch die Helden unserer Zeit.
Wir sind gerade dabei, den Bogen zu überspannen. Stetiges Wachstum ist möglich aber nicht in dem Sinne, in dem wir es gerade praktizieren.
Gegen Instinkte hilft nur Nachdenken, das schließlich zum Umdenken führt. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, die „einzig Schuldigen“ immer nur in Politik und Wirtschaft zu finden. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen – ob es uns passt oder nicht.

Motto des Weltverbrauchertages 2018 – Digitale Märkte gerechter machen

Damit müssen wir uns heute nicht zwingend befassen. Ist schließlich ein Kernthema der Piraten, zu dem wir uns ständig äußern. Die Pipeline dazu ist gut gefüllt.

Quellen/Fußnoten:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Weltverbrauchertag
[2] https://www.auto-motor-und-sport.de/news/vw-dieselskandal-software-updates-probleme-partikelfilter-agr-ventil-erfahrungen-fakten/?block=1&private=1
[3] https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/eu5-diesel-nachruestung-scr-kat-fahrverbote/?block=1&private=1
[4]