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Vertrauensbruch gegen Schüler und Lehrpersonal – Land Brandenburg soll mit Plagiatssoftware digitale Kopien in Schulen aufspüren

Mit dem Schuljahr 2011/2012 wurde eine neue Regelung wirksam, nach der die Länder den Schulbuchverlagen die Möglichkeit einräumen müssen, auf Computern in Schulen eine Software zu installieren, die nach Plagiaten – gemeint sind hierbei urheberrechtlich geschützte Werke – sucht. Weiter werden die Länder verpflichtet, disziplinarisch gegen Urheberrechtsverstöße von Lehrerinnen und Lehrern, wie auch Schulleiterinnen und Schulleitern vorzugehen. Die Regelung wurde im Rahmen des „Gesamtvertrags zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG“ zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, der VG Wort, der VG Musikedition und der Zentralstelle Fotokopieren an Schulen (ZFS) geschlossen. Darin verpflichten sich die Länder außerdem dazu, für Vervielfältigungen für die Jahre 2011 bis 2014 insgesamt 32,6 Millionen Euro zu zahlen. Hierbei handelt es sich um eine Form von Bildungsgebühren, die den Zugang zu Bildung einschränken.

Die Piratenpartei Brandenburg lehnt den Vertrag und den Einsatz einer solchen Überwachungssoftware entschieden ab. „Es ist nicht hinnehmbar, dass sich das Land Brandenburg von Verlagen vorschreiben lässt, wie es mit ihren Bediensteten umzugehen hat. Das ist ein offener Vertrauensbruch mit den Lehrerinnen und Lehrern, aber auch Schülerinnen und Schülern. Schulleiter und Landesregierungen sind keine Hilfspolizisten der Verlegerlobby.“ kritisiert Michael Hensel, 1. Vorsitzender der Piratenpartei Brandenburg. „Darüber hinaus wirft der Einsatz einer solchen Software zahlreiche arbeits- und datenschutzrechtliche Fragen auf. Der Dienstherr überwacht – sobald er die Software einsetzt – seine Angestellten sowie die Schülerinnen und Schüler. Ein Komplett-Scan der betroffenen Computer greift in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationstechnischer Systeme ein.“ Die Piratenpartei Brandenburg fordert die Offenlegung der entsprechenden Kontroll-Software und einen sofortigen Stopp des Einsatzes im Land Brandenburg. Die Rechtmäßigkeit der Eingriffe muss eingehend geprüft und Missbrauchsmöglichkeiten ausgeschlossen werden.

Die Piratenpartei Brandenburg fordert darüber hinaus die Freigabe von Lehrmitteln unter Creative Commons-Lizenzen. Diese Lizenzen ermöglichen eine weitgehend freie Nutzung von Inhalten. „Ein Großteil des Arbeitsmaterials wird ohnehin von den sehr engagierten Lehrerinnen und Lehrern selbst erstellt und mit dem Kollegium geteilt“, ergänzt Michael von Gradolewski, Beisitzer im Landesvorstand der Piratenpartei Brandenburg und Vater eines zehnjährigen Sohnes. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass ein überkommenes Geschäftsmodell zu Lasten der Gesellschaft weiterbetrieben wird. Für Schulen und Universitäten muss die freie Nutzung von Werken generell erlaubt sein.“

  1. Autsch,
    das ist ein äußerst zweischneidiges Thema.

    Zitat: “Ein Großteil des Arbeitsmaterials wird ohnehin von den sehr engagierten Lehrerinnen und Lehrern selbst erstellt und mit dem Kollegium geteilt”
    Teilweise ist dem so, aber nicht generell. Oder habt ihr da belastbare Zahlen?

    Zitat: „Ein Komplett-Scan der betroffenen Computer greift in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationstechnischer Systeme ein.“
    Hier stellt sich die Frage, ob ein vom Schulträger den Schülern zum Zwecke der Ausbildung zur Verfügung gestellter Computer ein eigengenutztes informationstechnisches System ist. Auch die Lehrer haben keine zur persönlichen Nutzung überlassene PC’s.

    Und wenn dann alles Creative Common ist, wer soll denn die Leute bezahlen, die bei den Schulbuchverlagen arbeiten und das Material erstellen, lektorieren etc.?

  2. Hallo Dieter,

    der Erfahrungsbericht (das heißt direkte Gespräche) zeigt, dass Lehrer sehr wohl daran interessiert sind, ihre Arbeit für andere verfügbar zu machen. Im Bekanntenkreis zB. werden diese Unterlagen und Vorbereitungen, wenn Schulnetz vorhanden, für andere zur Verfügung gestellt. Belastbare Zahlen gibt es nicht, aber selbst im „analogen“ Bereich (Sammlung von Kopien für jeweilige vorbereitende Tätigkeiten, erstellte Arbeitsblätter, prüfungsvorbereitende Vorlagen) ist dies nicht unüblich und laut zugetragenen Erfahrungen gängig. Es werden auch bereits vorbereitete zur Verfügung gestellte Unterlagen weiterverwendet und überarbeitet. Allein dies macht bereits dann eine genaue Quellenfindung mehr als unmöglich, zumal auch eigene Einflüsse (bis 100%) darin enthalten sind.

    Dass dies sehr wohl ein Anliegen der Lehrer ist, sieht man zB. bei Plattformen, wie ZUM e.V. (http://www.zum.de) .. hier wird eine Plattform geboten, auf der kostenfreie Materialien den Lehrern und Schulen zur Verfügung gestellt wird. Allein das Copyright #seufz ist hier negatives Kriterium, obliegt aber dem Seitenbetreiber des Portals. Eben genau dieses Engagement kann man unter CC stellen. Das Urheberrecht der Autoren ist gewahrt und kann ohne Probleme unter Nennung weitergegeben und genutzt werden.

    Kommen wir zum Komplett-Scan. Sehr wohl bieten Schulen interne Netzwerke an. Abhängig des Logins erhalte ich als Schüler einen eigenen Bereich – auch Lehrer erhalten Zugriff auf die Lehrerbereiche im Netzwerk – wird dies auch gescannt? Werden die Home-Ordner gescannt? Das BDSG (zB. §32) regelt meiner Meinung nach explizit und steht diesem Vertrag mehr als konträr gegenüber – Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten. Ich möchte nicht sehen, dass in irgend einer Weise Listen, die Lehrer für ihre tägliche Arbeit angefertigt werden und ggf. den Lehrern netzweit zur Verfügung stehen durch „Plagiatsfindersoftware“ verarbeitet werden. Selbst hier werden noch weitere gesetzliche Bestimmungen negativ tangiert, über die es sich lohnt mal ausführlicher als in Kommentaren zu äußern.

    Kommen wir zu den PCs und „Eigentum“ der Lehrer usw …

    Der Vertrag sieht gemäß Ziffer 6.2 und 6.4 folgendes vor (https://www.piratenbrandenburg.de/wp-content/uploads/2011/10/20110615gesamtvertragtext.pdf)

    „Die Länder werden die Einhaltung des vorliegenden Gesamtvertrages an den staatlichen Schulen regelmäßig überprüfen. Zudem werden sie im 1. Schulhalbjahr 2011/2012 Bestätigungen der staatlichen Schulen darüber einholen, dass sich auf den von den Schulen genutzten lokalen und EXTERNEN Rechnern und Speichersystemen, ob eigen- oder FREMDBETRIEBENEN (im Folgenden: Speichersysteme), keine Digitalisate von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken befinden (stichtagsbezogen).“

    Hier sind ebenso die Rechner von Lehrern betroffen, die ihre Tätigkeiten an IHREM EIGENEN Rechner vorbereiten, vorführen oder darstellen. Welches Gesetz soll derartiges zulassen, wenn ich fragen darf? Nach meinen Erfahrungen werden Arbeiten / Unterlagen / Vorlagen sehr oft EXTERN auf Rechnern / USB-Sticks usw. vorbereitet. Soll dafür der Privat-Rechner des Lehrers mit Software ausgestattet werden? Ich glaube wohl eher nicht … und würdest du das bei deinem Rechner so wollen?

    Und mal nebenbei bemerkt: Wenn deutsche Staatsanwaltschaften und Gerichte massenweise das öffentliche Interesse bei der Verfolgung von Filesharing verneinen (somit die Content-Lobby selbst Anzeige erstatten muss), sehe ich keine Rechtfertigung, warum man die Grundrechte von hunderten Schülern und Lehrern an einer Schule für ein paar Schulbuchexemplare verletzen dürfen sollte?

    Und wegen CC: wie oft wird ein Buch lektoriert? Wie oft wurde aus anderen Büchern (gleichen Verlages zB) wieder etwas kopiert und in einem neuen Buch untergebracht? Ist 2 x 2 = 4 wegen des Abdruckes in einem Buch per Copyright geschützt? Oder physikalische Formeln? Dass ein Buchdruck auch anders geht, haben die Jungs und Mädels von den Musikpiraten mehr als einmal gezeigt. Dass Lehrer sich untereinander helfen wollen, da sie teilweise sich auch bei den Büchern für Lehrer finanziell im Stich gelassen fühlen (nach meinen Informationen müssen die Lehrer dies selbst käuflich erwerben ohne Rückerstattung seitens Schule & Co) ist auch vorhanden. Gebt ihnen eine Plattform, wo sie nicht mit Copyright-Hürden gegängelt werden und sie werden sie nutzen – für sich und für die Bildung unserer Kinder … und dieser Misswuchs an Copyright-Lobbyismus gehört meiner Meinung in dieser Form eingestampft 🙂

    Gruß,
    Micha

  3. Lieber Micha,

    bei aller Liebe ist das nicht so. Was Lehrer mit selbst erstellten Materialien machen, ist Ihre Sache. Und da gibt es mehr als nur ZUM!
    Aber zum Thema selber. Im Vertragsstext steht u.a. auch das nur 1% der Schulen stichpunktartig überprüft werden sollen. Ob ein privater Rechner eines Lehrers ein von der Schule genutzter externer Rechner ist, werden wohl erst Gerichtsverfahren klären. Ich sehe das nicht so.
    Wie oft wird ein Schulbuch lektoriert? Im Prinzip jede Auflage für jedes Bundesland. Dazu werden didaktische Konzepte für das Fach erarbeit,die fallen auch nicht vom Himmel.
    Das ist auch nicht mit der netten Liederbuchaktion zu vergleichen. Das war eine copyrightfreie Sammlung von Liedern. Ohne jegliches didaktisches Konzept, ohne den Zwang Rahmenrichtlinien zu entsprechen und ohne Rücksicht auf lokale kulturelle Eigenheiten. Die Aktion ist mit einem Lehrbuch nicht vergleichbar.
    Bisher ist meines Wissen jedes Projekt eine OpenSource Schulbuches zumindest in Deutschland gescheitert.
    Die gekünstelte Hysterie ist nicht angebracht. Eine Reform des Urheberrechts schon.

    Wichtig und da kann die PPD sicher was tun, ist zu prüfen, ob die dann frühestens in 2. Halbjahr des aktuellen Schuljahr einzusetzende Software wirklich Daten erhebt, Man kann erst dann von ungesetzlicher Software sprechen, wenn diese existiert. Vorher ist das nur Hellseherei.

  4. @Dieter:
    Im Vertragstext steht nicht „nur 1%“, sondern „dass jährlich MINDESTENS 1 % der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisate prüfen lässt.“. Ebenso steht – und das ist bisherige Rechtsauffassung von Juristen, die sich damit beschäftigt haben – „von den Schulen genutzten lokalen und externen Rechnern und Speichersystemen, ob eigen- oder fremdbetrieben (im Folgenden: Speichersysteme)“ … dies schließt formal Speichermedien und Geräte von Lehrern ein, die darauf für die Schule Vorbereitungen / Vorlagen / Arbeiten usw erledigen. Dieser Eingriff ist nicht nur meiner Meinung nach ohne rechtlicher Grundlage auf Vertragsbasis nicht möglich. Wehren kann sich der Betroffene, wenn überhaupt, erst NACH dem Einsatz/Scan usw.
    Wie eine Plagiat-Finde-Software dies entscheiden soll (man bedenke zB. Werke von Goethe, die es zB. bei Gutenprint usw bereits gibt) ist mir schleierhaft, um keine FalseNegatives zu produzieren.
    Ebenso ist fraglich, wie die Software überhaupt lokal alleinig diese Daten ausfindig machen will: die Frage, die im Raum steht: Wie groß ist die Software, die sämtliche Werke mitführen muss, um Kopien und Plagiate zu finden, oder wird da (meiner Ansicht nach) nicht doch eine Internetverbindung benötigt, um Scans oder Dateien zur Prüfung auszulagern?
    Hast du Nachweise für „OpenSource“ Schulbücher? Wenn ja, bitte her damit …
    Sehr wohl ist es so, dass die verordneten Lehrbücher nicht vollumfänglich ausreichen, um den Unterricht vorzubereiten und breiter gefächert die Vorbereitung der meisten Lehrer ausfällt und somit eigene Vorlagen erarbeitet, zusammengestellt und ausgetauscht werden. Hier ist ein Portal wie ZUM wichtig und bei Weitem nicht unbekannt.
    Hast du belastbare Quellen, was ein Lektorat kostet? 2000€? 5000€?
    Zusammenfassend: per Vertrag soll eine Software eingesetzt werden, die nicht kontrolliert werden kann. Es gibt keine gesetzliche Grundlage – im Land Brandenburg gibt es nicht einmal bisher eine Anzeige im Amtsblatt, sondern vermutlich (wie in Thüringen) lediglich eine Dienstanweisung. Für diesen Vertrag, der nicht einmal augenscheinlich die Landesinstanzen durchlaufen und somit einer weitestgehenden Prüfung überstanden hat, werden aus dem Landesetat Mittel freigestellt – die Kultusministerkonferenz hat bereits schonmal mächtig in den Sack gehauen .. nannte sich Rechtschreibreform.

    Gruß,
    Micha

  5. Der große Schlag kommt erst noch. Die Datenkrake Google ist gerade im Bereich Digitalisierung aller auf der Welt verfügbaren Werke aktiv. Wenn in ein paar Jahren
    der Beamer engültig die Tafel ablöst wird es ein digitales Monopol geben mit ungeahnten Folgen für alle Nutzer.
    Und die Herren von Google werden keine Skrupel haben sich alles sehr gut bezahlen zu lassen.
    Wir werden uns darauf einstellen müssen uns unsere eigenen Bücher zu schreiben und zu digitalisieren.
    Was ein Lektorat kostet weiß ich nicht, aber die Schulbücher werden ja nicht verschenkt. Der freie Zugang zur Bildung zeichnet eine wirklich freie Gesellschaft aus. Im Moment haben wir die Diktatur der Gier.

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